Die Zeit verrinnt, Generationen kommen und gehen. Das sich stetig wiederholende Befüllen und Leeren der Scheune bezeugt den Rhythmus des bäuerlichen Lebens. Sein Verhaftetsein an Tradition und Werte zeigt sich im Bemühen, zu erhalten und zu bewahren.

Die Geschichte allerdings folgt ihrer eigenen Gesetzgebung, z.B. dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Wir Menschen setzen Ursachen und leider nur zu oft bricht die Wirkung dann sehr folgerichtig über uns herein. Zwei Weltkriege liegen hinter uns, wir schreiben das Jahr 1948. Vom Erbauen der Scheune bis jetzt haben vier bis fünf Generationen in bewährter Manier mit ihr gelebt und gearbeitet. Aber jetzt zieht Aufbruchstimmung durchs ganze Land. Sie nimmt jeden auf eigene Weise mit.

Mein Großvater bekennt sich dazu, noch nie die allergrößte Lust für den Obstanbau empfunden zu haben und möchte sich im Handeln ausprobieren.
„Wi bruukt een neie Schüün“ ist sein Credo. Das vor der Währungsreform gepflückte Obst wird nicht verkauft, sondern weggestellt. Es wird abgewartet bis alle die neue DM in den Taschen haben. Die nach dem Kriege noch verordnete ‚Bewirtschaftung‘, die Rationierung wird aufgehoben und damit entsteht nun ein kollektives Gefühl neuer Freiheit – Konsum als wirksames Schmerzmittel zieht ein in die menschliche Erfahrungswelt einer Nation.

Jetzt wollen alle Kirschen essen. Etwas Süßes für die Seele.
Die Kirschen aus Opas Scheune werden am Großmarkt mit viel Gewinn verkauft und finanzieren den Bau einer neuen.
Junge Leute gibt es wenig, so kommen ältere Männer mit der Fähre aus Wedel herüber, die das neue Gebäude hochmauern. Gegen Lohn, ja, aber auch für die große Pfanne Bratkartoffeln mit Speck, die es jeden Abend bei Bauerns gibt.

Der Handel blüht, der Rubel rollt. Segelschiffe, die vor dem Krieg den Transport übernahmen, werden nach und nach umgerüstet und mit einem Motor versehen. Man bringt das Obst aus dem Alten Land sogar bis nach England und St. Petersburg.
Unser Nachbar besaß ein kleines Küstenmotorschiff mit Namen ‚Gondel‘. Nach dem Krieg traute er sich nicht aufs Wasser hinaus wegen der vielen noch nicht hochgegangenen Minen, die man in der Elbe vermutete. So lebte man vom Obstanbau und die Gondel blieb schön festgemacht hinterm Deich.

Ein leerer Schiffsraum, gut zugänglich aber außerhalb des öffentlichen Blickfeldes lässt bei der jungen Erwachsenengeneration Begehrlichkeiten aufflammen. Der ideale Fetenraum. Und so öffnet der Sohn unseres Nachbarn Luken und Schotten und lädt Freunde und Nachbarn zum Tanze. Die örtlichen Vertreter von Polizei und Zoll befinden sich zufällig im selben Alter und so kommt es, dass der schwarz gebrannte Schnaps ganz regelmäßig unterm Radar der behördlichen Ordnung  weggluckert.